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Über jüdisches und muslimisches Engagement für Geflüchtete

Werfen wir den Blick auf die jüdische und muslimische Community im Kontext Flucht, so fallen zwei Aspekte besonders auf: in beiden Communities ist die Erfahrungen von Flucht, Vertreibung und Migration tief verankert, und beide zeigen ein besonders intensives Engagement für Geflüchtete. Aktiv sind sie in Gemeinden, Vereinen und lose organisierten Gruppen, in ehrenamtlich und beruflich Strukturen. Einige ihrer Vertreter:innen haben in Gesprächen mit der Denkfabrik Schalom Aleikum einen Einblick in ihr Engagement gegeben und geschildert, woraus sie ihr Verantwortungsbewusstsein schöpfen, welche Verbesserungen sie als notwendig erachten. Wir nutzen nun soziologische Theorie, um ihre Arbeit gesamtgesellschaftlich einzuordnen. Wir konzentrieren uns dabei auf drei zentrale Aspekte, die zugleich als Handlungsimpulse für Zivilgesellschaft und Politik dienen sollen.

(Foto: Chacris Chuesai)

Das Spektrum des Engagements für Geflüchtete war und ist breit. Es bildet die strukturelle und emotionale Grundlage des Ankommens der Geflüchteten in der hiesigen Gesellschaft, die wiederum die freie Entfaltung der Persönlichkeit eines jeden Mitglieds ermöglichen muss (Art. 2 Abs. 1 GG). Die Communities stellen, hier auf Axel Honneth zurückgreifend (Honneth 2010), die Möglichkeit her, das Selbstvertrauen der Geflüchteten aufrechtzuerhalten – durch Empathie und persönliche Wertschätzung, durch kulturelle Aktivitäten wie in der Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig, die im Buch „Flucht und Engagement“ zur Sprache kommt, durch gemeinsame Gebete und begangene religiöse Feste – in Synagogen wie Moscheen.  Selbstvertrauen zu haben bezieht sich bei Honneth auf wechselseitige und Ermutigung, aus Schutz vor Überforderung – aus Liebe, die genauso rein zwischenmenschliche als romantisch gedacht ist.

Für die Arbeit der Initiativen und Gemeinden mit Geflüchteten müssten ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen, Finanzen für Personal und Räumlichkeiten, die langfristig gesichert sind. Auf politischer Ebene gilt es daher, diese Einschätzungen als Handlungsimpulse aufzunehmen und den nachhaltigen Aufbau von Strukturen intensiv weiter zu verfolgen. Denn das Verantwortungsbewusstsein gegenüber Geflüchteten, das durch biografische Erfahrungen und ethische oder religiöse Grundhaltungen in muslimischen und jüdischen Communities stark ausgeprägt ist, ist weder eine Selbstverständlichkeit noch darf sich darauf ausgeruht werden. Strukturellen Überlastungen der Engagierten, seien sie in ehrenamtlichen oder in beruflichen Strukturen eingebunden, muss vorgebeugt werden.

Selbstvertrauen, das durch die Arbeit der Communities gegeben wird, bildet die erste der drei Säulen neben Selbstschätzung und Selbstachtung, die das Anerkennungsversprechen der modernen Gesellschaft ausmachen (Honneth 2010) und die von unserer Gesellschaft ermöglicht werden müssen, um ein gutes Zusammenleben zu sichern.

Selbstschätzung ist, so Honneth, die zweite Säule, die an soziale Anerkennungsweisen gebunden ist und den Individuen für bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten gegeben wird. Einer bezahlten Arbeit nachgehen zu können und aus der Erfahrung, für die eigenen Fähigkeiten Wertschätzung zu erhalten, „erwächst das praktische Selbstverhältnis der Selbstschätzung“ (Honneth 2010). Für Geflüchtete bedeutet das konkret, dass es elementar wichtig ist, ihre beruflichen Qualifikationen rasch anzuerkennen bzw. sie den mitunter schwierigen Zugangsbedingungen der institutionalisierten Qualifikationen anzupassen. Transparenz in der Verwaltung und ein funktionierendes Netzwerk innerhalb der unterschiedlichen Verwaltungen sind die nötigen Verbesserungen, um die Hürden für Geflüchtete abzubauen und die Arbeit der Engagierten zu erleichtern.

Die dritte Säule stellt die Selbstachtung und die Sphäre des eigenen Handelns, also der Autonomie und des Rechts dar. Viele Geflüchtete müssen lange und intensiv um basale Rechte wie Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis kämpfen. Dies sind nicht allein komplexe und oft intransparent gestaltete Vorgänge, sie sind mitunter auch unterschiedlich gelagert, wenn wir beispielsweise auf die Zugänge für Geflüchtete aus der Ukraine im Jahr 2022 schauen und sie mit den Zugängen für Menschen aus Syrien, die ab 2015 verstärkt nach Deutschland kamen, vergleichen. Viele der Geflüchteten ersehnen nichts stärker als die Einbindung in „dieses Verhältnis rechtlicher Anerkennung“ (Honneth 2010). Eine äußerst schwierige Lebenssituation wie diese unterscheidet sich fundamental von derjenigen anderer Mitglieder der Gesellschaft, für die dieses Anerkennungsverhältnis selbstverständlich greift und deren Streben in gänzlich andere Richtung geht. Es geht also um Anerkennungsversprechen, die nicht für alle Mitglieder der Gesellschaft gleichermaßen eingelöst sind. Dieses Ungleichverhältnis lässt Konflikte entstehen.  Daher ist es wichtig, die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Geflüchtete politisch bestmöglich zu gestalten und Zugangshürden abzubauen. Das bedeutet konkret, dass Papiere wie Aufenthaltsgenehmigung, Arbeitserlaubnis rasch und hürdenfrei ausgestellt und Abschlüsse pragmatisch anerkennt werden sollten. Auch ein unkomplizierter und direkter Zugang zu Sprachkursen ist wesentlich, um Zukunftsperspektiven ermöglichen zu können.

Das ausgeprägte Engagement beider Communities, der jüdischen und muslimischen, das selbstverständlich zu vergleichen, aber keinesfalls gleichzusetzen ist, ist tragfähig und belastbar durch ein existierendes Netzwerk der Community-Mitglieder untereinander und der Verbindungen zu anderen staatlichen wie nichtstaatlichen Organisationen – Vernetzung ist hier das ausschlaggebende Instrument.

Wenn sich jüdische und muslimische Communities verstärkt in die Arbeit mit Geflüchteten einbringen, federn sie mögliches Konfliktpotenzial entscheidend ab. Sie geben zwischenmenschliches Vertrauen und sie unterstützen die Aufrechterhaltung von Selbstschätzung, also die Integration in berufliche bzw. berufsbildende Strukturen. Darüber hinaus tragen sie zur Herstellung von Selbstachtung bei, so dass die rechtliche Einbindung in die Gesellschaft gesichert ist. Damit stiften die Communities gesellschaftlichen Zusammenhalt und gestalten essenziell das „neue Wir“ (Plamper 2019) in der Bundesrepublik Deutschland mit, das Selbstbild der deutschen Gesellschaft als Postmigrationsgesellschaft, in der vielfältige Identitäten „unter einem gemeinsamen Dach“ (Plamper 2019,) versammelt sind.

Magdalena Herzog Mag.

Magdalena Herzog Mag., hat Religionswissenschaft, Jüdische Studien und Islamwissenschaften an der Universität Heidelberg und der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg studiert sowie Middle Eastern History an der Tel Aviv University. Sie ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Sozialwissenschaften bei der „Denkfabrik Schalom Aleikum“ des Zentralrats der Juden in Deutschland tätig.

Literatur

  • Axel Honneth (2010): Verwilderungen. Kampf um Anerkennung im frühen 21. Jahrhundert. www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/33577/verwilderungen-kampf-um-anerkennung-im-fruehen-21-jahrhundert/ (Abruf: 29.11.2022)

  • Jan Plamper (2019): Das neue Wir. Warum Migration dazugehört. Eine andere Geschichte der Deutschen. Frankfurt am Main: S. Fischer.

    Der Beitrag basiert auf dem Artikel von Magdalena Herzog und Collin Feuerstein Resümee – Handlungsimpulse für Politik und Gesellschaft“ in unserem Buch „Flucht und Engagement. Jüdische und muslimische Perspektiven“. www.hentrichhentrich.de/buch-flucht-und-engagement.html